Wer Kennt schon die Conch Republic

#1 von Rong Kwang ( gelöscht ) , 13.11.2009 23:17

16. August 2007 Sie sitzt im Schatten auf der Veranda und wartet auf ihre Einbürgerung. Es ist Samstag, kurz vor vier, in jedem anderen Land hätten die Meldestellen geschlossen. Doch Denise O'Connor hat einen Termin. Sie ist fünf Stunden von Palm Beach nach Key West gefahren, für ihre Einbürgerungszeremonie im Regierungssitz der Conch Republic, 305 Petronia Street. Ein gelbes Haus mit weißen Fenstern und Türen, auf einem Schild steht "Büro des Generalsekretärs". O'Connor hat weiße Shorts an, ein T-Shirt, ausgetretene Flip-Flops. Sie sieht aus, als würde sie eben mal zum Supermarkt gehen und Milch holen, keine Staatsbürgerschaft.

Auch der Generalsekretär selbst ist nicht gerade staatstragend gekleidet. Sir Peter Andersons Hemd zieren blaue Ananasfrüchte, die grauen Haare sind zum Zopf gebunden. "Peter", stellt er sich vor, "kommen Sie schnell rein, hier draußen kann man ja kaum überleben." Im Büro ist es sehr kühl. Während O'Connor einen Fragebogen ausfüllt - Alter: 50, Haarfarbe: braun -, kramt Sir Peter eine Digitalkamera hervor. In der Conch Republic macht der Generalsekretär die Passfotos selbst. O'Connor stellt sich vor der Staatsflagge auf, eine rosa Conch-Muschel vor gelber Sonne auf blauem Grund. "Lächeln erlaubt", sagt Sir Peter, als sie ernst in die Kamera blickt, "in den USA wollen sie das nicht, wegen der biometrischen Gesichtserkennung. Wir ermutigen unsere Bürger ausdrücklich zum Lächeln oder sogar Lachen."

Seeschlacht mit Tomaten und Klopapier

Über 25 000 Reisepässe hat er bereits ausgestellt. Reisen kann man damit nicht, der Ausweis ist genauso ungültig wie ein selbstgemalter. Es gibt zwar eine Nationalhymne, eine Flagge, Männer, die sich Verteidigungsminister oder Premier nennen - ein anerkannter Staat ist die Conch Republic jedoch nicht. Und doch zahlen viele 99 Dollar für den blauen Pass, lachen in die Kamera und schwören einen Eid, um ein Stück von dieser Spaßrepublik am südlichsten Ende der Vereinigten Staaten mit nach Hause zu nehmen. Im April feierten die Bürger der Conch Republic den fünfundzwanzigsten Unabhängigkeitstag mit Drag-Queen-Rennen, Muschelblaswettbewerben und einer Seeschlacht mit Tomaten und Klopapier, ganz im Sinne des Landesmottos: "Die Linderung der Weltspannung durch die Ausübung von Humor".
Auf den ersten Blick mag die Conch Republic aussehen wie ein Narrenstreich. Doch dahinter steckt wohlüberlegter Protest. Mit der Gründung der Conch Republic reagierten ein paar Amerikaner auf die Gängelung durch die Behörden: 1982 stellte die Grenzpolizei am Eingang der Key Islands einen Posten auf, um nach Drogen und illegalen Einwanderern zu suchen. Die Bewohner ärgerten sich über die langen Staus und fürchteten, die Touristen könnten ausbleiben. Sie fühlten sich behandelt wie ein fremdes Land und beschlossen daraufhin, auch eines zu werden. Also machten sie den Bürgermeister zum Premier und bewaffneten sich - mit trockenen Brotstangen. Noch am gleichen Tag kapitulierten sie wieder und beantragten eine Wiederaufbauhilfe von einer Billion Dollar. Die Vereinigten Staaten haben bis heute nicht auf die Forderungen reagiert. Doch der Grenzposten verschwand. Die Conch Republic hatte gewonnen.

Alltag in Badekleidung

Benannt wurde das neue Land nach der großen heimischen Schneckenmuschel, der Conch, "Konk" gesprochen. So nennen sich auch jene Menschen, die auf der langen, schmalen Inselgruppe zwischen dem Golf von Mexiko und dem Atlantik geboren wurden. Zugezogene können sich hocharbeiten: Nach sieben Jahren darf man sich immerhin "Freshwater Conch" nennen. Die Bürgermeister der Key Islands dürfen außerdem den Titel "Honorary Conch" verleihen, an jene, die sich besonders verdient gemacht haben. Sir Peter, natürlich, hat diesen Titel, das Zertifikat hängt gerahmt über seinem Schreibtisch.

Es ist kein Zufall, dass der Protest ausgerechnet in Key West begann: Die Stadt pflegt ihr Image als liberalster Ort der Vereinigten Staaten und zieht Aussteiger und Querdenker an. Es gibt eine große und sehr aktive Schwulenszene, jeder Vierte gehört dazu. Fahrräder sind hier keine exotischen Sportgeräte, sondern bequeme Fortbewegungsmittel. Anzüge, Krawatten oder Kostüme trägt keiner, der Alltag funktioniert ganzjährig in Badekleidung. Menschen mit liberaler Gesinnung treibt aber nicht nur das ewige Feriengefühl in die Stadt, sondern ihre Lage: Hier liegt Havanna näher als Miami, die Karibik näher als George W. Bush.

Das Versteck ist berühmt geworden

In Key West leben etwa 28 000 Menschen, und zu bestimmten Zeiten im Jahr wächst die Zahl auf das Dreifache: zum Unterwasser-Phantasy-Festival im Herbst, oder im Juli während der Hemingway-Tage, wenn Ströme von Touristen durch das frühere Wohnhaus des Schriftstellers pilgern und man an jeder Ecke weißbärtige Männer trifft, die am Hemingway-Look-alike-Contest teilnehmen.

So wie Hemingways Jahre in Key West vermarktet werden, wirbt die Stadt auch mit ihrem exzentrischen Image - in jedem Museumsshop liegt das Buch: "Quit your job and move to Key West", eine Schritt-für-Schritt-Anleitung für den Neuanfang in der "kleinsten Metropole der Welt". Und auch die Conch Republic ist zum Markenzeichen geworden. Ein Laden in der Hauptstraße, der Duval Street, verkauft ausschließlich Scheinstaat-Souvenirs, Eierbecher, Flaggen und Salzstreuer. Ein Geheimtipp ist Key West seit den sechziger Jahren nicht mehr. Die Immobilienpreise sind gigantisch, das Versteck ist berühmt.

Die besseren Amerikaner

Sir Peter erzählt von Taxifahrern, die früher in der Führungsetage von IBM saßen, und Kellnern, die mal Anwälte waren. "Wir sind die überqualifizierteste Nation der Welt", sagt er. Er selbst kam mit Mitte dreißig, nach vielen Reisen und zwei Versuchen, "die Welt zu retten". Die Conch Republic schien auf ihn gewartet zu haben, umgekehrt genauso. Der Schelmenstaat ist zu seiner Mission geworden: Er ist nicht nur seit 17 Jahren Generalsekretär, Meldestelle und Passfoto-Fotograf in einem, sondern auch Botschafter, PR-Abteilung und Veranstaltungsmanager für "special events".

Unter "special events" fallen Aktionen in der Gründungstradition, die Sir Peter als Beweis nimmt, "dass wir die besseren Amerikaner sind. Weil wir keine Angst haben, gegen die Regierung zu protestieren, der die Macht zu Kopf gestiegen ist." 1995 zum Beispiel, als die US Army Truppenübungen auf Key West ankündigte. Die Conch Republic schrieb Protestbriefe an das Pentagon und das Außenministerium, die "Munitionsfabriken", die Bäckereien, produzierten Berge von Broten. Die Army lenkte ein: Sie habe nie die Souveränität der Republik anfechten wollen.

Wegen Flüchtlingen politisch aktiv

Es gibt immer wieder solche Auftritte, große Spektakel, die als Narrenfest daherkommen. "Wir amüsieren uns sehr dabei", sagt Sir Peter. Dumme Schildbürgerstreiche sind es aber nicht, dafür ist der Hintergrund viel zu ernst. Auch Eulenspiegel war nur vermeintlich ein Narr, tatsächlich den meisten seiner Zeitgenossen überlegen - Humor war seine schärfste Waffe.

Vor einem Jahr kaperten ein paar Conch-Republikaner die alte Seven-Mile-Brücke zwischen Vaca Key und Bahia Honda, Sir Peter trug einen schwarzen Piratenhut und hielt Flaggen und eine Brotstange in den Wind. Ein paar Tage zuvor, als 15 kubanische Flüchtlinge dort gelandet waren, hatten die Vereinigten Staaten erklärt, die Brücke gehöre nicht zu ihrem Territorium, und die Flüchtlinge zurückgeschickt. Die Conch Republic meldete daraufhin "großes Interesse" an der Brücke an. Zugesprochen wurde sie ihr nicht, doch die Vereinigten Staaten machten ihre Territorialentscheidung wieder rückgängig.

Der Pass für den kritischen Standpunkt

Es sind solche Aktionen, die Denise O'Connor begeistern. Ihr gefällt oft nicht, "wie die USA in der Welt auftreten". Mit der zusätzlichen Staatsbürgerschaft, sagt sie, bekenne sie sich zu einem kritischen Standpunkt. Sie sieht sehr feierlich aus, trotz Shorts und T-Shirt, als sie Sir Peter gegenübersteht und die Hand zum Schwur hebt. "Mein Treueeid auf die Fahne, auf meine kleine Inselnation und die Republik, für die sie steht." Sir Peter greift zu der Conch-Muschel auf seinem Schreibtisch, sie ist rot-weiß gestreift mit weißen Sternen, wie die Flagge der Vereinigten Staaten. Er setzt sie an und wird ein wenig rot im Gesicht, als er den Salut bläst. "Herzlich willkommen", sagt er, "Sie sind jetzt offizielle Bürgerin der Conch Republic."

In spätestens zwei Wochen wird der blaue Passport in ihrem Briefkasten in Palm Beach liegen. Sie hat gehört, dass einige damit tatsächlich schon Grenzen passiert haben. Das möchte sie ausprobieren. Langfristig, sagt sie, hätte sie gerne den roten Diplomatenpass. Der kostet mindestens 900 Dollar. Doch man kann sich auch hocharbeiten. Wer etwas Gutes für das Land tut, bekommt ihn umsonst. O'Connor hat schon eine Idee: Im gesamten Landkreis ist das Servieren von Alkohol vor Sonntagmittag verboten. Dieses Gesetz möchte sie abschaffen, dafür wird sie eine Petition an die Kreisverwaltung schreiben.

Wir versuchen, lustig zu sein

Sir Peter räumt die Kamera wieder in die Schublade. Er ist ein bisschen runder geworden, doch dafür raucht er nicht mehr. Als er Generalsekretär wurde, war er noch ein dunkelhaariger, schlanker Mann, das zeigen die Fotos an den Wänden. Sir Peter redet gerne und viel, vor allem über die Conch Republic. Seine Sätze sind druckreife Ausführungen. Zum Beispiel: "Wir bemühen uns ernsthaft, lustig zu sein, und wir versuchen, lustig zu sein, wenn wir ernst sind." Nach 17 Jahren Amtszeit hat er schlagfertige Antworten auf alles.

Einmal, ganz am Anfang, hatte er eine Audienz beim Außenminister der Bahamas. Was sie denn eigentlich mit dem Phantasiestaat bezweckten, wollte der wissen. Sir Peter musste einen Moment überlegen. Und sagte schließlich: "Wir sind der Joker. Sie wollen bestimmt nicht immer mit ihm spielen, doch ohne ihn ist der Kartensatz nicht komplett." Ihm war damals nicht klar, dass der Joker meistens als Hofnarr dargestellt ist. Ein kleiner Mann mit Schellenkappe, der nicht nur für die Belustigung am Hofe zuständig war, sondern auch ein besonderes Recht innehatte: Er durfte als Einziger dem Herrscher die Wahrheit sagen.
Der Weg in die Conch Republic

Phantasiestaaten, auch Mikronationen genannt, erwecken nur den Anschein, souveräne Staaten zu sein. Tatsächlich sind sie international nicht anerkannt. Andere berühmte Mikronationen neben der Conch Republic sind Sealand, eine ehemalige Seefestung vor der britischen Küste, oder die Hutt-River-Provinz in Westaustralien, die sich zu einem freien Fürstentum erklärt hat. Nicht verwechseln darf man Mikronationen mit souveränen Zwergstaaten wie Liechtenstein, Monaco oder dem Vatikan.

Die Conch Republic unterhält Botschaften in Frankreich und Finnland und feiert jährlich ihren Unabhängigkeitstag ab dem 23. April. Reisepässe sind auch über die Homepage erhältlich, dann sind sie jedoch teurer. Den Pass bekommt man ab 99 Dollar, „Botschafter des guten Willens“ wird man ab 900 Dollar. Der teuerste Ausweis ist der reine Diplomatenpass: Er kostet 10 000 Dollar, wird jedoch auch kostenlos vergeben, an Bürger, die sich für das Land einsetzen. Mehr unter http://www.conchrepublic.com oder beim Generalsekretär Sir Peter Anderson unter Telefon 0 01/30 52 96 02 13.

Literatur „Quit Your Job and Move to Key West“ von Christopher Schultz und David L. Sloan von 2003 kann man in Deutschland nur antiquarisch kaufen, zum Beispiel unter http://www.zvab.de. Der Reiseführer „Lonely Planet Micronations“ von 2006 widmet sich ausschließlich den Schein- und Phantasiestaaten dieser Welt, fünf Seiten stellen auch die Conch Republic vor. Das Buch kostet 15,50 Euro und ist nur auf Englisch erhältlich.

Anreise LTU fliegt mehrmals wöchentlich von Düsseldorf und München nach Miami, Preis für eine Strecke ab 199 Euro (http://www.ltu.de oder Telefon 02 11/ 9 41 83 33). Lufthansa fliegt täglich ab Frankfurt für derzeit 690 Euro hin und zurück, ab Oktober beginnen Sonderangebote bei 256 Euro je Strecke (http://www.lufthansa.de oder unter Telefon 01 80/5 83 84 26). Bis Key West fährt man etwa vier Stunden die 290 Kilometer lange Inselkette hinunter.

Reisezeit Die Inseln haben ganzjährig tropisches Klima, auch im Winter werden es durchschnittlich 24 Grad. Im Hochsommer wird es sehr schwül.

Informationsmaterial über die Florida Keys bekommt man kostenlos bei der Agentur des Fremdenverkehrsamts Get It Across. Mehr unter Telefon 02 21/2 33 64 51 oder unter http://www.fla-keys.com. Einen Festivalkalender und Informationen über Key West findet man unter http://www.keywest.com. akro
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.08.2007, Nr. 32 / Seite V1

Rong Kwang

   


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