Philosophische Betrachtung in Raum und Zeit
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Filmbeitrag vom 08.11.2010, 21.30 Uhr
Löcher im Netz: “Was wissen wir über das Leben, über das Bewusstsein und die Zeit?”
Inhalt; Die Grenzen des Wissbaren
Wissenschaftlicher Fortschritt hat die Welt berechenbar gemacht. Doch noch nie war die Frage nach dem, was wir nicht wissen so spannend wie heute, denn Wissenschaftler stehen vielfach an grundsätzlichen Grenzen.
Der Hunger nach Erkenntnis hatte die Menschen einst aus dem Paradies geworfen. Geblieben ist die Sehnsucht zu erkennen – in der Hoffnung, dass das mühsam erworbene Wissen uns irgendwann wieder zurückbringen wird. Wir nutzen das Wissen, um die Welt bunter zu machen, aufregender.
Doch wohin hat es uns verschlagen? Wir blicken in die Welt, um den Ort, an dem wir uns befinden, zu verstehen – seine Substanz, seine seltsamen Dimensionen. Wir haben uns an ein Leben in Raum und Zeit gewöhnt und glauben, was in den Netzen der Wissenschaftler hängen bleibt. Doch das Netz hat Löcher.
Phänomen Zeit
Eine Sekunde ist das 9.192.631.770-fache der Periodendauer, die dem Übergang der Strahlung zwischen den beiden Hyperfeinstrukturniveaus von Cäsium Atomen des Nuklids 133 im Grundzustand entspricht.
Ekkehard Peik, Physiker:
"Im Prinzip ist Zeitmessung sehr einfach. Man braucht einen Vorgang, der sich periodisch wiederholt und dann muss man einfach die Wiederholungen abzählen. Dann hat man ein Maß für die Zeit."
Ekkehart Peik ist der Herr über die Zeit. An der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig wird festgelegt, wie spät es ist. An Messtischen fangen die Wissenschaftler mit Hilfe von Laserstrahlen einzelne Atome und messen deren Schwingungen. Die Wissenschaftler sind sehr pingelig. Trotzdem: Keine Uhr auf der Welt geht wirklich genau. Und selbst wenn das der Fall wäre, wüssten wir nicht, welche.
Ekkehard Peik, Physiker:
"Die höchste Autorität in Sachen Zeit ist eine Weltzeit, die aber nicht von einer, sondern von vielen Uhren gebildet wird, zu der Laboratorien auf der ganzen Welt beitragen. Und wenn die Uhren nach den Regeln der Kunst gebaut sind, dann ist es nicht so, dass die eine recht hat und die andere nicht. Das ist nachher eine Genauigkeitsbetrachtung."
In Relation zu Naturkonstanten
Die Uhrzeit ist empfindlich. Um sie vor Strahlen zu schützen, sind die Labore mit Kupfer ausgeschlagen. Atomuhren, die aussehen wie Wasserboiler, werden miteinander verdrahtet, um die Zeit zu bestimmen. Die Zeitmessung verlässt sich darauf, dass bestimmte Phänomene in der Natur immer gleich bleiben, wie etwa die Ausbreitung des Lichts im Vakuum.
Die Ausbreitung des Lichts im Vakuum beträgt genau 299.792.458 Meter in der Sekunde. Und zwar unter allen Umständen. Änderten sich solche Konstanten - verschöbe sich auch die Zeit. Merken würden wir das wahrscheinlich nicht. Schließlich sind Uhren einfach Gegenstände, die Bewegungen oder Schwingungen zählen, von denen wir annehmen, dass sie sich auf einer Achse bewegen: der Zeit.
Ekkehard Peik, Physiker:
"Wie diese Achse selber gebildet wird und ob sie vielleicht strukturiert ist, dass ist eine Frage, die man noch gar nicht stellt und das ist eine von den wirklich schwierigen Fragen, auf die die Physik noch keine Antwort hat."
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Ist die Zeit nur eine Annahme?
Vielleicht gibt es die Zeit gar nicht. Auch in unserer Wahrnehmung existiert der Gang der Zeit nur als Annahme. Denn jedes Erleben findet in der Gegenwart statt. Es gibt für uns keinen anderen Zeitort. Für die Physik ist das ein unangenehmer Gedanke, den die Wissenschaftler mit einem geschickten Schachzug entschärfen.
Ekkehard Peik, Physiker:
"Also nach Einstein ist die Definition ganz einfach. Sie lautet: Zeit ist das, was die Uhr anzeigt."
Wir vermuten, dass das Alter des Universums etwa 14 Milliarden Jahre beträgt. Und dass vor 14 Milliarden Jahren irgendwie das begann, was wir heute Zeit nennen. Das empfundene Jetzt kümmert sich wenig um die offizielle Uhrzeit des Universums. Aber es besitzt durchaus eine beschreibbare Länge.
Die Dauer des Jetzt Zwei verschiedene Signale, etwa visuelle und akustische Reize, werden nur in einem bestimmten Zeitfenster als gleichzeitig wahrgenommen. Das "Jetzt" dauert 30 Millisekunden. Dieses Stück Zeit ist alles, was wir haben. Wie das Licht einer Taschenlampe, mit der wir durch eine unbekannte Dimension tappen.
Thomas Metzinger, Philosoph:
"Ja, ist ganz merkwürdig. Wir Menschen sind zu mentalen Zeitreisen fähig, wir können uns Zukünfte simulieren und episodische Erinnerungen an die Vergangenheit haben. Aber verankert sind diese Simulationen immer in der Jetztzeit. Ich bin es, der diese Erinnerung an gestern jetzt hat. Und wenn ich den Urlaub plane, dann plane ich ihn jetzt. Es gibt also ein Selbst, dass diese möglichen Welten immer verankert in einem Jetzt."
Ein kleiner roter Pfeil?
Denn vielleicht ist die Zeit nur eine menschliche Erfindung, um sich im Universum zu orientieren. Ein Koordinatensystem in einer zeitlosen Welt.
Thomas Metzinger, Philosoph: "Nehmen wir mal an, wir hätten eine komplette naturwissenschaftliche Beschreibung des gesamten Universums. Dann wäre diese Beschreibung, gerade weil sie komplett ist, kontextunabhängig. Das heißt, wenn wir diese Beschreibung einem Marsmenschen vorlegen, dann wüsste der Marsmensch nicht, welche Zeit "Jetzt" ist und welcher Ort "Hier" ist. Die Frage ist, ob das auch für eine psychologische Beschreibung gilt. Wäre in einer solchen Beschreibung ein kleiner roter Pfeil, der sagt: Und Du bist der? Das bin ich? Oder würde dieser kleine Zeiger in einer kompletten Beschreibung der Welt fehlen?"
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Phänomen Bewusstsein
Zeit existiert nur, wenn es einen Beobachter gibt. Aber existiert ein solcher Beobachter? Je genauer die Wissenschaftler das menschliche Gehirn untersuchen, desto mehr verschwimmen Beobachtung und Welt.
Thomas Metzinger, Philosoph:
"Das Bewusstsein ist der einzige Forschungsgegenstand, den wir kennen, der an eine individuelle Personenperspektive gebunden ist. Es gibt immer einen Jemand, der Bewusstseineindrücke hat. Und was genau das heißt, dass diese Inhalte nicht öffentlich sind, sondern gewissermaßen privat im Innenraum einer individuellen Person sind, dass haben wir noch nicht ganz verstanden."
Die Welt beginnt und endet im Kopf
Das menschliche Gehirn gehört zu den komplexesten Phänomenen, die uns zugänglich sind. Im Gehirn sind schätzungsweise 100 Milliarden Nervenzellen aktiv, die sich mittels 100 Billionen Synapsen miteinander verbinden.
Alles, was wir wahrnehmen, alle Farben, Formen, Bewegungen - sind nicht irgendwo da draußen, sondern werden von unserem Gehirn erzeugt. Vielleicht gibt es auch jenseits eine Welt, die derjenigen in unserem Kopf ähnelt. Aber unser Erleben kann niemals die Grenzen der neuronalen Netze verlassen. Die Welt beginnt und endet im Kopf.
Ulrich Ott, Psychologe: "Ich glaube, was nicht gesehen wird, ist, dass alles, was wir erleben, auch im Gehirn passiert. Das heißt: es weiß niemand so viel über die Prozesse in Ihrem Gehirn wie sie selbst."
Keinem Forscher ist ein Ich ins Netz gegangen
Auch wenn wir glauben, dass andere Menschen ähnliche Wesen sind, wie wir selbst - wir kommunizieren nur mit den eigenen Vorstellungen.
Ulrich Ott, Psychologe:
"Diese Sprache, diese Kodierung, die Sie gelernt haben, dass verstehen Sie alles subjektiv. Aber Sie haben - subjektiv das Gefühl, dass Sie verstehen, was ich meine, wenn ich sage, was ich gerade sage."
Wenn alles subjektiv ist - sind wir dann die Erfinder unserer eigenen Welt, ihre Schöpfer? So wie wir im Traum mit Leichtigkeit Welten auf- und untergehen lassen können? Wir erscheinen uns selbst nicht als Rätsel. Das in der Gegenwart verankerte Ich ist die Basis unserer Existenz. Der nicht hintergehbare Fixpunkt aller Erfahrungen. Doch das alltägliche Erleben eines Ich stellt die Wissenschaftler vor ein Rätsel.
Denn: Auch wenn wir sehr genau in das menschliche Gehirn blicken - keinem Forscher ist bislang ein Ich ins Netz gegangen. Kein Wissenschaftler hat eine zentrale Instanz im Kopf ausmachen können, eine Steuereinheit. Oder gar einen Welterfinder.
fortsetzung...